Einführung
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Das Endocannabinoidsystem: hochkomplexer Bestandteil des menschlichen Organismus
Das Endocannabinoidsystem (eCB-System) ist ein körpereigenes neurohumorales Regulationssystem: neben seiner Funktion im zentralen Nervensystem (ZNS) ist es auch an der Steuerung des Immunsystems und anderer Systeme des menschlichen Organismus beteiligt.1
Im Gehirn und vielen anderen Organen befinden sich natürlicherweise Cannabinoid (CB)-Rezeptoren und körpereigene Botenstoffe – Endocannabinoide –, die mit diesen interagieren. Die Hauptfunktion des eCB-Systems ist die homöostatische Regulierung, d. h. es sorgt für ein Gleichgewicht im Organismus, indem es die normale Funktionsfähigkeit des Körpers – insbesondere des Nervensystems und des Immunsystems – aufrechterhält.2-4 Außerdem ist es an der Modulation des Schmerzempfindens beteiligt.5
Das Endocannabinoidsystem
(eCB-System) umfasst
Cannabinoid-
Rezeptoren
Endocannabinoide
Enzyme für die Synthese und den Abbau der Endocannabinoide
Das menschliche Endocannabinoidsystem
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Cannabinoid-Rezeptoren im Körper: Ausgangspunkt für die Wirkung des medizinischen Cannabis
Bisher konzentrierte sich die Forschung hauptsächlich auf zwei Cannabinoid (CB)-Rezeptortypen:
Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren (CB1)
Typ-2-Cannabinoid-Rezeptoren (CB2)
Beide primären Rezeptoren (CB1 / CB2) werden in vielen Geweben und Organen des Körpers exprimiert und beeinflussen die Signalwege innerhalb der Zellen. So sind sie in das körpereigene Schmerzempfindungssystem integriert und modulieren außerdem wichtige Funktionen im kardiovaskulären und gastrointestinalen System sowie im Immunsystem.7,8
Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren (CB1) kommen vorwiegend auf Nervenzellen (Neuronen), Typ-2-Cannabinoid-Rezeptoren (CB2) hauptsächlich auf Zellen des Immunsystems (Mastzellen, B- und T-Lymphozyten) vor (siehe Abbildung).9
CB1-Rezeptoren befinden sich am häufigsten im zentralen Nervensystem (ZNS), d. h. im Gehirn in den Basalganglien, dem Hippocampus und Thalamus. Diese Areale des Gehirns spielen eine wichtige Rolle bei der Regulierung von Stress und Angst. Die CB1-Rezeptoren beeinflussen insgesamt zahlreiche Neurotransmitter und Neuromodulatoren.9
CB2-Rezeptoren sind hauptsächlich in der Peripherie lokalisiert, wo eine besonders große Anzahl auf Zellen und Geweben des Immunsystems nachzuweisen ist.3,10,11
Neben den beiden primären CB1- und CB2-Rezeptoren konnte inzwischen eine ganze Reihe an weiteren Rezeptoren nachgewiesen werden. Hierzu zählen beispielsweise GPR55, GPR119, GPR18, PPAR sowie die Vanilloid-Rezeptoren (TRPV).12-14
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CB1
CB1-Rezeptoren befinden sich überwiegend im zentralen Nervensystem
CB2
CB2-Rezeptoren befinden sich vor allem im Immunsystem
Lokalisation der primären Cannabinoid-Rezeptoren im Körper.
Endocannabinoide
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Endocannabinoide: körpereigene Botenstoffe für vielfältige Körperfunktionen
Endocannabinoide können wie ein Schlüssel an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (Schloss) von Zellen andocken.
Endocannabinoide (eCBs) fungieren als natürliche, hemmende Botenstoffe, indem sie sich an Cannabinoid-Rezeptoren der Zellen ankoppeln (endogene Liganden).
Sie können – wie ein Schlüssel – an G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (Schloss) von Zellen andocken (siehe Abbildung). Hierdurch vermitteln sie dem Gehirn, dem Immunsystem und anderen Organen Informationen und initiieren somit Zellreaktionen. Die bisher am besten erforschten Endocannabinoide sind Anandamid (AEA) und 2-Arachidonylglycerol (2-AG).6
Enzyme für die Synthese und den Abbau der Endocannabinoide
Sowohl Anandamid (AEA) als auch 2-Arachidonylglycerol (2-AG) werden im Körper je nach Bedarf synthetisiert. Der Abbau der beiden eCBs erfolgt durch Enzyme, d. h. durch die Monoacylglycerin-Lipase (MGL) und die Fettsäureamid-Hydrolase (FAAH). Dabei beeinflussen eCB-Spiegel und die Wirkung der eCBs an den Rezeptoren die Aktivität der abbauenden Enzyme.6
Blockade der neuronalen Freisetzung von Neurotransmittern sowie Neuromodulatoren durch Bindung der eCBs an CB1-Rezeptoren.
Wirkmechanismus des Endocannabinoidsystems
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Wirkmechanismus des Endocannabinoidsystems
Im Gegensatz zu den meisten Neurotransmitter-Systemen geschieht die Weiterleitung der Signale im eCB-System retrograd, d. h. es erfolgt eine rückläufige Regulierung der neuronalen Freisetzung von Neurotransmittern (GABA, Glutamat) sowie verschiedener Neuromodulatoren (z. B. Dopamin, Serotonin, Acetylcholin).3
Die Erregungsübertragung von einer Zelle auf eine andere geschieht in der Synapse. Hierbei wird in der Regel ein Signal in chemischer Form vom präsynaptischen Neuron an das postsynaptische Neuron weitergeleitet (siehe Abbildung (1)).
Endocannabinoide (eCBs) werden im postsynaptischen Neuron synthetisiert, in den synaptischen Spalt freigesetzt (2) und binden retrograd an den CB1-Rezeptor des präsynaptischen Neurons (3). Die Bindung der eCBs an den CB1-Rezeptor am präsynaptischen Neuron blockiert die Transmitterfreisetzung an der betroffenen Synapse vorübergehend oder anhaltend (4). Dieser Wirkmechanismus ermöglicht eine Modulation neuronaler Signalwege entsprechend den homöostatischen Anforderungen.6
Die Signalübertragung des CB2-Rezeptors ist derzeit weniger bekannt: dieser ist an der Freisetzung von Zytokinen beteiligt, wonach eine antiinflammatorische Wirkung anzunehmen sein könnte.15
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Die Endocannabinoid-Rezeptoren
Im zentralen und peripheren Nervensystem bestehen zwischen den CB1- bzw. CB2-Rezeptorsystemen, Neurotransmittern und Neuromodulatoren vielfältige Interaktionen.16 Dabei sind nur die CB1-Rezeptoren mit psychotroper Wirkung assoziiert, während die CB2-Rezeptoren zu einer immunmodulatorischen Wirkung führen.6 Es gibt außerdem Hinweise, dass GPR-Rezeptoren das Immunsystem mit dem Nervensystem und dem endokrinen System verbinden.1
Zusammenspiel der endogenen Systeme mit dem Endocannabinoidsystem
Die Vernetzung des Endocannabinoidsystems mit zahlreichen weiteren endogenen Systemen kann vielfältige Einflüsse auf folgende Funktionen haben:
emotionale
psychische
kognitive
mentale
physische
motorische
sensorische
organische
Eine zusätzliche Gabe von Cannabinoiden kann – in Abhängigkeit vom individuellen Krankheitsbild der Patient:innen – die Funktion des Endocannabinoidsystems unterstützen.
Referenzen
Stand: 2021
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